Montag, September 20, 2010

Ein Lauf Greift um sich...

Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr...

Minutiös vorbereitet sitze ich im Zug in Richtung Uster. Ich vergewissere mich, ob ich alles dabei habe. Laufschuhe? Ok! Laufklamotten? Ok! Duschzeug? Ok! Zugbillet, Halbtax, Bankkarte? Nicht Ok!!! Hektisch durchwühle ich meinen Rucksack. Nichts! Spurlos verschwunden das Zeug. Dabei hätte ich schwören können ein Etui mit diesen Dingen eingepackt zu haben. In diesem Moment klingelt das Handy. Meine Frau unterrichtet mich, dass unsere zweieinhalbjährige Tochter das Etui aus dem Rucksack entwendet habe, und dieses nun in ihrem Zimmer liege. Na toll, denke ich. Schwarz fahrend, ohne Geld und ohne Identität gehts also zum Greifenseelauf.

Der Greifenseelauf ist aber auch die Lösung meines Problems. Viele Läufer bevölkern an diesem Tag die Wagen der SBB. Wild gestikulierend mit dem Programmheft in der Hand, erkläre ich bei der Billetkontrolle die Situation. Der Kondukteur kauft mir meine abenteuerliche Geschichte überraschenderweise ohne Weiteres ab. Der Massenanziehungskraft dieses Laufwettbewerbs kann ich auch einen weiteren Umstand Verdanken. Mit dem Handy organisiere ich, dass mein ebenfalls laufender Cousin das "gestohlene" Etui nach Uster bringt. So ist wenigstens eine sorgenfreie Rückfahrt gesichert.

In Uster drängen sich die Massen aus der S-Bahn. Eine junger Mann mit Megaphon in der Hand lotst die Läuferschar in Richtung Garderoben und Startnummerausgabe. Vor mir diskutieren zwei Läufer über ihre letztjährige Teilnahme. Einer von ihnen schildert, wie er bei der vorherigen Teilnahme mit leerem Magen an den Start ging. Der unvermeintliche Hungerast folgte daraufin. Dieses Jahr passiere ihm dieser Anfängerfehler nicht mehr, meint der energische Zürcher. Hildegard Fässler läuft vorbei. Die SP-Nationalrätin kann sich nach ihrer gescheiterten Bundesrats-Kandidatur nun auf ihre zweite Leidenschaft konzentrieren. Ob sie bei einer Wahl in die Landesregierung noch Zeit für's Laufen gefunden hätte? Viele bekannte Gesichter erblicke ich. Ein Altersgenosse aus Gossau erlebt heute seine Halbmarathon-Premiere. Er ist zuversichtlich gestimmt. Ich gebe ihm den Tipp, ja nicht zu schnell anzugehen. Der Greifenseelauf hat durchaus seine Tücken. Er ist allerdings gut vorbereitet und wir sein Debüt in einer sehr guten Zeit absolvieren.

Beim Start treffe ich einen ambitionierten Schweizer Bergläufer. Wir kennen uns durch Teilnahmen an den selben Wettbewerben. In diesem Jahr gelang ihm der Durchbruch zur absoluten Weltspitze. Vor einer Woche lief er den Jungfrau-Marathon und reüssierte auf dem hervorragenden 13.Platz. Heute möchte er seine Halbmarathon-Bestzeit angreifen. Er habe eine schnelle Regenerations-Zeit und glaube, dass er bereits heute wieder eine Topleistung abliefern könne. Der "Wahnsinnige" wird seinen Rekord um zwei Minuten unterbieten. In der vordersten Reihe stehen Viktor Röthlin und Christian Belz, die Stars der Schweizer Laufszene. Sie werden sich an diesem Tage einen packenden Kampf um den nationalen Meistertitel liefern. Der lachende Sieger wird Marathon Europameister Röthlin sein.

Röthlin und Belz laufen in anderen Sphären. Trotzdem wird auch zwischen den Rängen 150 bis 200 mit Haken und Ösen gekämpft. "Rechts, Achtung Rechts!" ein muskulöser Läufer im Triathlon-Trikot drängt sich kurz nach dem Start an mir vorbei. Das nervt und ist mühsam. Mit Absicht überhole ich ihn später mit den Worten "Rechts, Achtung Rechts". Überhaupt ist die Laufveranstaltung mit 7'600 Läufern an der Grenze des Ertragbaren. Die Wege sind teilweise schmal und der Ehrgeiz treibt viele Teilnehmer zu merkwürdigen Überholmanövern. Jedes Jahr überlege ich, ob ich mir den Greifenseelauf überhaupt noch antun will? Der direkte Vergleich mit vielen guten Läufern hat aber durchaus seinen Reiz. Sonst wäre ich dieses Mal wohl nicht das siebte Mal am Start gewesen.

Die Temperaturen sind ideal. Die obligate Greifensee-Krise überfällt mich trotzdem auch bei dieser Austragung. Zwischen Kilometer 7 und 10 hadere ich mit meinem kalkulierten 4.00 min/km. Ich verfluche in diesen Momenten das Rennen um den See. Wenig später mag ich den Greifenseelauf aber schon wieder. Wie auf Schienen nehme ich die letzten Kilometer in Angriff. Im Ziel bin ich zufrieden. Meine zweitbeste Greifenseelauf-Zeit leuchtet auf. 1h 23min 38Sek., 172 Platz unter 5447 Läufern.

Im Zielraum treffe ich auf einen Kollgen meines Laufvereins. Eine Verletzung zwang ihn zur Aufgabe. Trotzdem strahlt er über das ganze Gesicht und nimmt die Sache locker. Letzte Woche war er noch beim Jungfrau Marathon. Die herrlichen Bedinungen haben bei ihm einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Andere sind da weniger gut gestimmt. Ein Teilnehmer jammert über seine verpasste Zeit unter 1h 20min. Im Zug nach Hause beklagt sich ein (über-) ehrgeiziger Läufer über den Umstand, dass er nächste Woche berufsbedingt nicht Trainieren können. Ich denke für mich, wie schön haben es viele der ganz normalen Hobbyläufer. Sie absolvieren den Greifenseelauf und sind am Schluss einfach froh unbeschadet im Ziel angekommen zu sein. Der Spass sollte doch immer im Vordergrund stehen. Keine übermotivierten Überholmanöver und verbissene Kämpfe um die persönliche Bestzeit. Einfach pure Freude über das Erreichte.

Läufer werden ist nicht schwer, Läufer sein dagegen sehr.

2 Kommentare:

Benjamin hat gesagt…

Ein bisschen weiter hinten (so um die 4:15/km) war es deutlich erträglicher bezüglich mühsamer Überholmanöver, aber den vereinzelten Idioten gab's natürlich auch dort.

Viel mühsamer waren dagegen die CityRunner und "Adidas friends", die die schmalen Wege paketweise verstopft haben und im zweiten Startblock, direkt nach der Elite und den Schnellsten, liefen...

gossau-fen hat gesagt…

au au au, da gebe ich dir vollkommen recht. diese "sektenartigen" gruppenläufer sind ganz mühsam