Montag, Januar 25, 2010

Wie weiter?

Letzten Samstag war ich seit längerer Zeit das erste Mal wieder Abends in St.Gallen unterwegs. Nur gut zwanzig Minuten benötige ich mit dem Bus vom St.Galler Messeglände bis praktisch vor meine Haustüre. Beim Umsteigen am Hauptahnhof steigen etliche junge Gossauer ein, die sich wohl der elterlichen Order beugen, um rechtzeitig vor 1.00 Uhr die heimische Türschwelle zu überschreiten. Eilig verabschieden sie sich von ihrem "Schätzli" aus der Gallus Stadt, leeren ihre letzte Büchse Schützengarten Bier oder stopfen sich Fast Food aus dem nahegelegenen Schnellimbiss hinter die Kiemen. Schon für 16, 17jährige Gossauer scheint sich also das Nachtleben vornehmlich in der Kantonshauptstadt abzuspielen.

Der Bus fährt am neuen St.Galler Stadion vorbei, hier sieht man wie wehmütige Blicke aus dem Fenster schweifen. Ein bekannter DJ legt in dieser Nacht im städtischen In-Club auf, dort kommt man erst ab 18 Jahren rein. Wir passieren die Stadtgrenze zu Gossau, es ist jetzt nicht gerade so, dass eine Mauer oder gar ein Stacheldraht die Grenze zur Olma Stadt symbolisiert. Im Gegenteil, es ist eigentlich nicht ganz klar, wo St.Gallen aufhört und wo Gossau anfängt. Ein grosses Industriegebiet verbindet die zwei Nachbarstädte.

Wir erreichen das Mettendorf, die grösste Gossauer Wohnsiedlung. Hier steigen die meisten Fahrgäste aus. Über den Wohnblöcken liegt die Dunkelheit der Nacht. Das Licht ist überall gelöscht. Der Flachbildschirm, den man sich mit dem 13 Monatslohn zugelegt hat, ist ausgeschaltet. Thomas Gottschalk hat sich von seinen Gästen verabschiedet, und auch das Siegerinterview mit Didier Cuche im Sport Aktuell ist schon längst Geschichte. Ein Junge zieht seine FC St.Gallen Mütze tief ins Gesicht, es ist kalt heute Nacht. Am Wartehäuschen prangert ein Espenblock Kleber. Ein Ortsfremder hätte wohl das Gefühl, er befände sich in einer x-belliebigen Vorstadt von St.Gallen...

Der St.Galler Stadtpräsident möchte eine Metropole in der Ostschweiz schaffen. Mehrere Gemeinden sollen seiner Meinung nach fusionieren. Der Politiker erhofft sich davon einen Standortvorteil und eine bessere Position gegenüber Bundesbern. Der bedeutenste Zuzug für die Olma Stadt, wäre dabei eine 17'000 Einwohner Gemeinde an der westlichen Grenze der Kantonshauptstadt. Gossau im Jahre 824 erstmals geschichtlich erwähnt, durchschnittlich 20 Nebeltage im Jahr und dank des "Walter Zoo", beliebtes Ausflugsziel in der Region.

9200 Gossau-St.Gallen??? kaum vorstellbar für die Einen, ein längst fälliger Schritt für die Andern. Der Gossauer Stadtpräsident zeigt sich eher skeptisch. " Zwischen Fusionseinsicht und Umsetzungsprozess liege ein Graben" so der parteilose Politiker. Mit Graben ist der Unterschied treffend formuliert. Die Fürstenländer Kleinstadt beheimatet ein lokalpatriotisches Völkchen. Viele, vorallem ältere Gossauer legen grossen Wert auf die Eigenständigkeit ihrer Gemeinde. Nicht wenige der alteingesessene Familien sind familiär untereinander verbunden. Das örtliche Gewerbe beteiligt sich immer wieder aktiv in der Poltik, ob es nun um den neuen Schulratspräsidenten geht, oder um die Gestaltung des Stadtzentrums. Früher sprachen böse Zungen gar vom sprichwörtlichgen "Gossauer Filz".

Ein ausgesprochener Bezug zur Wohngemeinde bringt viele positive Dinge mit sich. Gossau besitzt prozentual zur Bevölkerung eine enorm hohe Anzahl an Vereinen, der Handball Club spielt in der NLA, der Fussballverein in der NLB. Gossau hat auch eine Partei, die sich ausschliesslich den Problemen und Anliegen der Kleinstadt widmet.

Wie würde eine Abstimmung mit dem Thema "Fusion-St.Gallen/Gossau" heute ausgehen? Bei einigen Gossauern scheint ein "Wechsel" zur Kantonshauptstadt, in etwa so erstrebenswert wie die WM Tickets für Südafrika bei der Schweizer Bevölkerung. Die Gründung einer Separatisten Bewegung wie in Korsika oder im Baskenland wäre trotzdem nicht zu erwarten. Eine revolutionäre patriotische Organisation wird auch bei einer Zusammenschliessung mit St.Gallen nicht enstehen. Die Kanalarbeiter wären weiterhin die einzigen Gossauer, die sich im Untergrund bewegen. Die beiden hier thematisierten Städte trennt ja auch kein politisches System, wie Nord und Südkorea, oder eine Mauer wie früher die DDR und die Bundesrepublik. Die religiösen Unterschiede sind auch nicht gerade mit Israel und dem Iran zu vergleichen. Ganz im Gegenteil, der Einfluss von St.Gallen wird in Gossau immer grösser. Die meisten "Beizen" führen mittlerweile Schützengarten Bier. Sushi findet man wohl bald einfacher in den ortsansässigen Lokalitäten, als das mehrfach prämierte lokale Bier. Ein "Ladensterben" ist zudem nicht von der Hand zu weisen. Die Einheimischen nützen mehr und mehr das Konsumangebot in der angrenzenden Grossstadt. Dies hat sicher auch damit zu tun, dass das mühsame Verkehrsproblem in den letzten Jahren nie gelöst werden konnte. Eine attraktive Einfkaufsmeile liegt in Gossau etwa so fern, wie ein sorgenfreier Arbeitstag für Bundesrat Merz.

Hier liegen auch die Gründe, wieso ich gegen eine Zusammengehen mit St.Gallen bin. Meiner Meinung nach entwickelt sich Gossau schon seit Jahren in die Richtung "Vorstadt" von St.Gallen. Bei einer Fusion würden die Interessen der Gossauer Bürger wohl in den Hintergrund geraten. Ein positiver Nebeneffekt einer Vereinigung mit der Gallus Stadt ist mir jedenfalls nicht ersichtlich. Im Gegenteil, viele Fragen stellen sich. Würde der Bahnhof Gossau weiterhin ein Verkehrsknotenpunkt bleiben? Wie sehe die Stadtentwicklung in Zukunft aus? Wenn man "Vorstädte" anderer Metropolen begutachtet, schwant einem jedenfalls Böses. Gossau sollte sich deshalb die Eigenständigkeit bewahren, und selbsbewusst gegenüber dem grossen "Bruder" auftreten. Eine Attraktivitätssteigerung des Stadtzentrums, die Verbannung des Schwerverkehrs aus dem Stadt und die Erhöhung des kultuerellen Angebots wären hier hilfreiche Schritte.

Was wird in 20 oder 30 Jahren sein? Objektiv gesehen, und wenn man den Lauf der Zeit beobachtet, wird eine Fusion irgendwann wohl Tatsache sein. Vielleicht wühlt diese Frage dann auch niemanden mehr auf? Vielleicht sieht sich keiner mehr dazu veranlasst, an einem Montag Abend solche Zeilen wie die obigen niederzuschreiben. Wer weiss, evtl. sind die "Gräben" zwischen den beiden Städten irgendwann auch nicht mehr tief?

Ich laufe die paar Schritte von der Bushaltestelle nach Hause. Mir kommt ein Gespräch vom Nachmittag in den Sinn. Leidenschaftlich, als ginge es um die UBS Steueraffäre in den USA, diskutierten zwei Gossauer über die Qualität der "Beizenfasnacht". Wo jetzt die schönste "Barmaid" arbeite, und wo überhaupt dekoriert sei?

Gossau bleibt Gossau (vorerst noch zumindest)

4 Kommentare:

günther hat gesagt…

wie weiter? eine erste antwort können wir selbst geben, indem die sg-kleber mit gossau-klebern überdeckt werden ;-)

nadine hat gesagt…

haha... am günther sini legendärä kleber :)

Andy Schönenberger hat gesagt…

Hallo!
Ich habe deinen spannenden Bericht mit grossem Interesse gelesen. Gossau darf sich auch meiner Meinung nach nie St. Gallen anschliessen! Es geht hier nicht um Lokalpatriotismus und Bünzlitum sondern darum, dass Gossau seine Eigenständigkeit verlieren und zu einem "Vorort" degradiert würde. In einem demokratischen Gemeinde-System würden dann die Gossauer bei allen Entscheiden jeweils von den zahlenmässig überlegenen St. Galler Stimmbürger überstimmt. Da werden sich die Hauptstättler zweimal fragen, ob sie Steuergelder für Gossau ausgeben sollen, wenn man das alles auch in St. Gallen City haben kann! (z.B. Fussgängerzone, Strassen, Sport- und Bildungsinfrastruktur, Kultur etc.) Lieber klein und unabhängig sein als gross und ohne Stimme!

gossau-fen hat gesagt…

sehr gute Argumente, Andy. Es ist doch tatsächlich so, dass viele" Vororte" von grossen Städten benachteiligt werden. Das demokratische Gemeinde System das du erwähnst ist ein interessanter Gesichtspunkt. Die Gemeinde Gossau/Arnegg lehnte ja auch den neuen Dorfplatz von Arnegg an der Urne ab, sicherlich nicht wegen fehlender Stimmen aus Arnegg. Dies sei als nahe liegendes Beispiel erwähnt.

Vielleicht würde für Gossau bei einem Zusammenschluss mit St.Gallen auch die Möglichkeit eines Bezirksparlament bestehen bleiben, trotzdem würde man bei einer Fusion auf jeden Fall eine gehörige Portion Autonomie einbüssen müssen.