Donnerstag, Oktober 15, 2009

Schweiz : Israel



WM Qualifikation
St.Jakob Park, Basel
38'500 Zuschauer (ausverkauft)

Der Extrazug nach Basel ist nicht gerade übermässig besetzt. Ein grosser Teil der Reisenden setzt sich zudem aus OLMA-Messe Besuchern zusammen. Man erkennt diese Leute nicht nur an den fehlenden Fan Accessoires, sondern vorallem an ihren Plastiktaschen, die von einem soeben erfolgten Buillon, Gewürze oder Käse Kauf zeugen. Bis Zürich ist also so gar nichts zu spüren, von einem kapitalen Fussball Länderspiel. Keine Kuhglocken, keine Vuvuzelas und keine von diesen merkwürdigen Hüten in den Schweizer Landesfarben mit Hörnern dran. In der grössten Stadt der Schweiz steigen dann aber doch viele Fans zu, die Stimmung ist verhalten euphorisch.


Ein junger Israeli fragt meine Kollegen, ob er sich neben ihn setzen dürfe? Sein Kumpel komme auch gleich, der könne ja dann den Platz neben mir einnehmen, meint der perfekt schweizerdeutsch sprechende Jude. "Klar, natürlich ist das kein Problem" entgegnen wir ihm. Einen Satz, den zumindest ich in der nächsten Stunde noch bitterlich bereuen werde. Dieses israelische Paar gleicht nämlich dem Duo Astrix und Obelix, zumindest gewichtsmässig. Der Wohlbeleibte kommt zielsicher auf uns zugesteuert und meint "häds do für mich no Platz? Wenn nöd, muess ich mir halt Platz mache! höhöhöhö!". Die Zürcher Version von Luciano Pavarotti findet das scheinbar noch lustig, mir hingegen gefriert mein höfliches Lächeln. Er zwängt sich also in meinen Nebensitz, was bedeutet, dass ich fortan mit einem halben Sitz vorlieb nehmen muss. Meine Beine sind eingequetscht zwischen seinem linken Fastfood geformten Bein und dem Abfallkübel. Ich habe ja nun wirklich keine Vorurteile gegen übergewichtige Mitmenschen, aber gegenüber diesem Mann wirkt Reiner Calmund wie ein magersüchtiger Ballett Tänzer. Zumindest erweisen sich die Beiden als interessante Gesprächspartner, die Unterhaltung über hübsche Frauen in Tel Aviv und über Israel im allgemeinen verkürzen die Zugfahrt nach Basel. Da ist es dann auch nicht so schlimm, dass zwischenzeitlich kein Blut mehr durch meine eingezwängten Beine fliesst. Unsere Sitznachbarn sind zwar in der Schweiz aufgewachsen, trotzdem sind sie patrotische Israelis und wünschen sich heute einen Sieg ihrer Mannschaft. Nach Israel würden ihre Symphatien aber der Schweizer Nati gehören, meinen die Zwei. Ein bisschen Angst haben die Israelis um Freunde von Ihnen, die mit Gebetskappen ins Stadion kommen wollen. "Jo bi däne Fuballfans z'Basel weiss mehr nie" mutmassen sie. Wir beruhigen die Israel Fans aber, da werde sicherlich nichts passieren.

Eine halbe Stunde vor Spielbeginn stehen wir immer noch mit dem Extrazug ein paar hundert Meter vom Stadion entfernt. Nichts geht mehr, die Nervosität steigt bei einigen Fussballfans, anfänglich wird noch aus den Fenstern gejohlt, nun nur noch wütend geschimpft "Gopfverdammi wieso gods nöd witer?". Die Lungenliga hätte auch keine Freude, dass Rauchverbot wird von den Nikotinsüchtigen nicht mehr beachtet. Der Qualm hat den Vorteil, dass mein dicker Freund sich vom Platz erhebt. Endlich kann ich meine Beine wieder ausstrecken und auch das Gefühl von Platzangst verlässt meinen Körper.

Fünfzehn Minuten vor Anpfiff stehen immer noch grosse Menschentrauben vor den Stadion Eingängen. Die Kontrollen sind rigeros, wie immer bei Spielen mit israelischer Beteiligung. Ein Ordner weist darauf hin, dass ich meine Bierbüchse abgeben muss. Ich strecke ihm den Gerstensaft entegegen, und er reicht mir die Dose umgehend wieder zurück. "Do hats no än Schluck denne, trenk us" meint der ältere Herr freundlich lächelnd.
Im Stadioninnern werden gerade die Nationalhymnen abgespielt, als wir die Treppen zu den Tribünen hochsteigen. "Tritts im Morgenrot daher…" tönt es aus tausend Kehlen, auffallend viele Plätze sind allerdings noch frei, die akribischen Kontrollen fordern ihren Tribut. Die Schweiz bekundet von Beginn weg Mühe im Aufbau, es wird ein nervöses Spiel werden. Ähnlich geht aus auf den Zuschauerrängen zu und her, es herrscht ein diffuses Gewusel. Ein Schweizer Fan mit Lederjacke und Achtziger Jahre Frisur meint zu mir "än Skandal, min Platz isch bsetzt, wa seisch du do dezu?". Nicht viel sage ich dazu und widme mich wieder dem Spiel. Es folgen lange 90 Minuten, bis zum Schluss muss man mit dem Schlimmsten rechnen. Ab und zu denke ich an die armen deutschen ARD Zuschauer, die dieses Spiel Live verfolgen müssen, als objektiver Zuschauer muss dieser Match die absolute Hölle sein. Für solche Partien ist unsere Nati allerdings prädestiniert, nicht umsonst wurde das Spiel gegen die Ukraine an der WM 2006 zu einem der 10 schlimmsten Fussballspiele der Neuzeit gekürt. Doch all dies ist egal, die Schweiz zittert sich an die WM. Eine grandiose Leistung dieser Mannschaft, wenn man sich ihr Leistungsniveau und die monumentale Niederlage gegen Luxemburg nochmals vor Augen führt. Der Verdienst von Ottmar Hitzfeld lässt sich gar nicht hoch genug einordnen, dagegen war der Gewinn des Europapokal mit dem FC Bayern fast ein veritabler Spaziergang durch den Englischen Garten in München.

Die Fans der Nati sind solche Erfolge aber fast schon gewöhnt. Nur so ist der verhaltene Jubel zu erklären. Einzelne motzen sogar rum, wieso diese Spieler denn nicht noch ein Tor schiessen konnten? Ein Sieg hätte zur voll geilen Party eben doch noch gefehlt, meint ein rot-weiss eingekleideter Fan tags darauf auf einem Lokalsender. So bewegt sich das Partyvolk nach Spielschluss Richtung Extrazüge. Bis Zürich stehen wir, es ist stickig, ab und zu können Personen ihre Gerüche nicht bei sich lassen, und Durst hätte man eigentlich auch noch. Ich bin trotzdem hochzufrieden mit meinem Platz, mein Erlebnis von der Hinfahrt hat mich wieder einmal Bescheidenheit gelehrt. Einzelnen Schweizer Nati Anhängern würde diese Tugend auch gut zu Gesicht stehen...

2 Kommentare:

Dänu hat gesagt…

Wie wohltuend, so ein Bericht zu lesen, merci! Die Genugtuung, dieselbe Wahrnehmung über die erfolgsverwöhnten Schweizer zu erfahren, weicht langsam dem Erstaunen, dass Dani R. eine Lederjacke trug.

gossau-fen hat gesagt…

hehe sehr schön dänu :-)! es war aber nicht Dani R., der die Lederjacke trug. Dani R's Einstellung zum Fussball entspricht nämlich dem Jahrzehnt aus dem seine Frisur stammt. Er steht also lieber als er sitzt , er pfeifft dementsprechend auf nummerierte plätze :-)