Montag, Oktober 19, 2009

"Die Ostschweiz" über die Zeitumstellung bis zur Mundwaschung

"Zügeln" ist eine äusserst mühsame Angelegenheit. Trotzdem, wenn einmal der Entschluss zu einem Wohnungswechsel gefasst ist, gibt es kein zurück. Eine positive Sache, die diese Tortour mit sich bringt gibt es denoch. Man schmeisst endlich mal die alten Sachen weg. Fraglich wieso ich bei meiner letzten "Züglerei" diese "Kicker Stars" Heftchen aus den frühen Neunziger Jahren mitnehmen musste? Maurizio Gaudino auf dem Titelbild, der war damals noch Teenie Idol, und diese Zeitschrift aus dem Kicker Verlag war sozusagen der Vorläufer von "Bravo Sport". Die Ballermann Hits aus dem Jahre 1999 reisst heute auch keinen mehr vom Hocker, selbst für den betrunkensten Touristen auf Mallorca sind die Songs darauf der Stimmungsöter schlechthin, also auch ab in den Mülleimer. Eine wahre Perle entdeckte ich aber am gestrigen Abend. Eine Ausgabe von der Zeitung "Die Ostschweiz", Erscheinungsdatum 22.Oktober 1979, also ziemlich genau 30 Jahre alt. Diese Publikation erscheint heute leider nicht mehr, zwei tägliche erscheinende Zeitungen vertrug unsere Region irgendwann scheinbar nicht mehr. Nun gibt es bekanntlich nur noch das St.Galler Tagblatt. Ich bin allerdings mit der "Ostschweiz" aufgewachsen, diese Zeitung stand der CVP nah, genaus so wie auch mein Vater. Deshalb war damals die Entrüstung am Familien Mittagstisch gross, als die Druckpressen für "Die Ostschweiz" abgstellt wurden. Im konservativen Kanton St.Gallen wurde eben nicht nur unterschieden zwischen Katholisch oder Evangelisch, Rheintal oder Toggenburg, CVP oder FDP Wählern sondern auch noch zwischen "Tagblatt" und "Ostschweiz" Lesern.

In der Augabe vom Oktober 1979 sind die Nationalratswahlen das grosse Thema. "Die SP verliert 5 Nationalratsmandate" steht im Titel. Nicht unerfreut darüber zeigt sich der Kommentator: "Das Ergebnis ist ein kontraproduktiver Erfolg der aggressiven und doppelbödigen Politk der Sozialdemokratie", und am Schluss gibts für die sozialistische Politik gleich nochmals aufs Maul "Summa summarum wird man also den Schluss ziehen dürfen, dass sich die sozialdemokratische Doppelrolle in der Bundespolitik bei den Ständeratswahlen nicht ausgezahlt hat".Aha...

Auf der Titelseite steht desweitern ein Meldung, die auch an diesem Montag im Jahre 2008 die Titelseite des St.Galler Tagblatts zierte "Rekord Olma, 440'000 Besucher zählte die Messe". Im Vergleich dazu drei Jahrzehnte später waren es 750'000 Besucher, dafür gab es 1979 noch die legendäre "Halle 7"...Prost

Die Zeitung weist weitere interessante und teilweise amüsante Texte auf. So zeigt sich, dass die Schweiz schon in den späten Siebziger Jahren eine Insel in Europa war. Was heute die Europa Politik ist war früher die Zeitumstellung. Ja richtig gelesen, die Zeitumstellung. Was für Probleme die Leute damals noch wälzen mussten, nichts mit kalter Krieg und dergleichen, die Zeitumstellung war der wirkliche Aufreger. Folgender Bericht erschien damals in der "Ostschweiz": "Sommerzeit Gegner zum Einlenken bereit. Auch in Kreisen der überzeugten Sommerzeit Gegner ist man nun offenbar zum Einlenken bereit, nachdem die Schweiz im kommenden Sommer zu einer Zeitinsel in Europa zu werden droht. Albert Rüttimann (CVP, AG) Präsident des erfolgreichen Aktionskomitees gegen das Zeitgesetz, erklärte am Sonntag, dass er schweren Herzens nun nicht mehr gegen die Einführung der Sommerzeit oppunieren würde. "Wenn wirklich alle Länder die Sommerzeit hätten, werde sie die Schweiz aber wohl auch einführen müssen. Der Arbeitsablauf werde jedoch durch die Sommerzeit stark und ungünstig beeinflusst".
30 Jahre danach, sind diese Zeilen ein herrliches Dokument jüngerer Zeitgeschichte. Etwas überrascht war ich, dass der Präsident Albert Rüttimann hiess, und nicht Maurer, Blocher oder Mörgeli, aber auch diese Herren werden sich irgendwo ihre Vorbilder gesucht haben.

Weitere Meldungen:
-Tessin lehnt Stimmrecht mit 18 ab!
-Braunkohle bleibt wichtigstes Exportgut der DDR!
-Breschnew soll nicht ernsthaft krank sein, Der sowjetische Staats und Partei Chef Leonid Breschnew wurde nach seiner Rückkehr von den 30-Jahr Feiern der DDR in der Öffentlichkeit nicht mehr gesichtet.
-Sekräterinnen aus der ganzen Welt in Lugano. Sekräterinnen aus 32 Ländern finden sich seit gestern Abend bis Mittwoch in Lugano zu ihrem 3.Weltkongress ein. Wie Kongressleiterin Alice Moneda erklärte zögern viele Firmen wegen dem "Heiratsrisiko" mit der aktiven Förderung dieser Berufsgruppe.
Da soll noch jemand behaupten in Sachen Emanzipation habe sich in den letzten 30 Jahren nichts getan.

Werbung gabs 1979 natürlich auch schon, ganz modern war der Golf-Leader, VW wirbt gleich mal mit einer ganzen A4 Seite für das Gefährt. Inbegriffen in der Sonderausstattung sind u.a . Sportlerlenkrad, Heckenscheibenwischer, Dekor Streifen seitlich vorne und hinten (und das noch Jahre vor Manta-Manta"), persönliche Initialen.

In der Rubrik Verschiedenes gibt es eine Meldung die beweist, dass die Amis halt auch schon damals zu äusserst merkwürdigen Dingen fähig waren. "Mundwäsche statt Gefängnisstrafe". Weil er weder für zehn Tage ins Gefängnis wollte noch 50 Dollar Strafe zahlen konnte, mussten zwei Polizisten am 20 jährigen Thomas S. mit Wasser und Seife eine richterlich angeordnete Mundwaschung vornehmen. S. wurde dem Richter vorgeführt, weil er eines Abends, als er offensichtlich einen über den Durst getrunken hatte, vor einer Bar zwei Polizisten beleidigt hatte. Der Richter hielt diese Bestrafung für wirksamer als das Gefängnis.

So ich sollte eingentlich nun weiter Kisten einräumen. Der Sportteil hat übrigens einen Extra-Text verdient. Wunderschöne Berichte, und ein sagenhaftes Foto eines fünfachen Torschützen in der nationalen Fussball Liga.
EHC Arosa wird Meister, das war noch Eishockey!!! Mehr dazu in den nächsten Tagen

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Jaja, die gute alte "Ostschweiz"... Kenne ich aus meinen Kinderjahren auch noch sehr gut. Für die Gossauer gab es meines Wissens nach sogar noch die täglich erscheinende "Gossauer Zeitung". So konnte man als Gossauerin und Gossauer gar zwischen drei Tageszeitungen auswählen.
Doch das Schrägste an deiner Ausgabe der "Ostschweiz" aus dem Jahre 1979 hast du gar nicht erwähnt... Schau mal, wer damals Chefredaktor war?!:-) Kein geringerer als Edgar Oehler himself! So polternd wie die Abrechnung mit den Sozialdemokraten geschrieben ist, kann sie eigentlich nur von Oehler geschrieben sein.

c.g.

gossau-fen hat gesagt…

Tatsächlich danke c.g. für diesen hinweis. Auf der drittletzten Seite neben der Opel Ascona Werbung und einem Bericht des Toggenburger Sängerverband steht es schwarz auf weiss, Chefredaktor Dr. Edgar Oehler. Edi aus Balgach hat den Kommentar zur Wahl allerdings nicht verfasst, dass war ein gewisser Hans Willi. Von Edgar Oehler ist aber dennoch auf der Frontseite die Rede, er schaffte es erneut in den Nationalrat. Fern jeglicher Objektivität schreibt " die Ostschweiz", "Nicht überraschend kam auch das Spitzenresultat des Balgacher CVP Vertreters Dr.Edgar Oehler, der sich in den letzten Jahren in der Grossen Kammer durch verschiedene Vorstösse profilierte.

Stimmt davon hab ich auch schon gehört, es gab tatsächlich mal eine "Gossauer Zeitung". War wohl etwas für ganz hartgesottene Lokalpatrioten. Wobei damals wenigstens noch ausführlich über unsere Stadt berichtet wurde, und nicht höchstens auf einer Seite wie teilweise heutzutage.

Dänu hat gesagt…

Dafür taucht ihr regelmässig im 10 vor 10 und im Print-Boulevard auf, das ist doch auch was. Heute schon wieder Gossau SG auf der Blick-Titelseite, ganz oben... :-)

gossau-fen hat gesagt…

schon wieder ist nicht ganz richtig :-) dänu. die holde schönheit mit hang zur entblösung, die sich am montag in der grössten und einzigen schweizer boulevardzeitung präsentierte kommt aus Gossau ZH . Leser des Artikels meinen, dies sei gut so :-)