Donnerstag, April 29, 2010

auf einer Welle durch London...

Als sich die über 36'000 Läufer an diesem Sonntag Morgen auf den Start vorbereiten haben sie mehrheitlich einen langen Weg hinter sich. Knapp 1% der englischen Bevölkerung nimmt am Losverfahren für einen Startplatz zum London Marathon teil. Die Meisten von ihnen gehen leer aus. Eine Teilnahme beim Rennen in der europäischen Metropole bleibt selbst für gestandene britische Marathon Läufer vielfach nur ein Traum. Die Teilnehmer aus dem Ausland haben es ungleich leichter. Zwar gibt es auch für sie den glücksabhängigen Weg über ein Losverfahren. Als Alternative stehen allerdings auch Startplätze über Reiseagenturen zur Verfügung. Natürlich nicht gerade kostengünstig. Mein Kollege und ich hatten Glück und wurden ausgelost, uns blieb also der "Luxustrip" mit einem Laufreisen-Veranstalter erspart.

Auf einer grossen Wiese in Greenwich ein halbe Stunde vor dem Start zum Rennen sind alle gleich. Ob der englische Milliardär Sir Richard Branson, der spätere Sieger Tsegay Kebede, oder der ulkige Marathonläufer im "Flinstones" Kostüm. Sie alle warten nervös auf den Start zu den 42,195km. Leichter Regen setzt ein, das kühle Nass vertreibt die drückende Wärme, die in den letzten Tagen über London lag. Neben mir reiht sich ein weiterer Schweizer ein. Leicht zu erkennen an seinem roten Lauf-Shirt mit einem Schweizer Kreuz und dem Aufdruck Freddy. Auf Freddy's Mütze prangt das Logo einer bekannten Laufreisen-Agentur. Wir tauschen uns kurz über die persönlichen Ziele aus. Er will unter 3 Stunden laufen, ich sage ihm, dass mein Ziel ähnlich definiert ist.

Noch zwei Minuten zum Startschuss, ich überprüfe nochmals ob die Schuhe gut geschnürrt sind. Bereue dies allerdings blitzartig, als sich ein Mitläufer neben mir nochmals erleichtert. Gibt sicher schönere Anblicke so kurz vor dem Start. Pünktlich um 09.45 startet die riesige Läufermasse auf die grosse Schleife durch London. Die ersten Meilen werden durch Aussenquartiere gelaufen. Bereits dort herrscht eine fantastische Stimmung. Vor einem Pub wurde ein Laufband aufgestellt, eine schwergewichte Britin strampelt sich im "modischen" achtziger Jahre Trainingsanzug ab. Der Marathon ist wirklich ein gesellschaftliches Ereignis in der Millionenstadt. Die Organisation ist hervorragend, selbst bei den Temposchwellen stehen Pfadfinder und rufen den Läufern warnend zu "hump, hump".

Der Start ist mir geglückt, der Schritt ist ruhig und gleichmässig. Einzig die Umstellung von Kilometern auf Meilen bereitet mir Schwierigkeiten. Es fällt mir schwer meine Zeit richtig einzuschätzen. Ich nehme mir vor bei der Halbmarathon-Distanz Bilanz zu ziehen, und je nach Durchgangszeit mein Tempo anzupassen. Nach 12 Meilen wartet mein Betreuer-Team. Dankbar nehme ich einen Energie-Gel entgegen und laufe weiter. Kurz vor Rennhälfte überqueren wir die Tower Bridge, Gänsehaut Stimmung. Für alle Anstrengungen einer harten Vorbereitung, die zahlreichen Trainings bei Minustemperaturen, die gestressten Einheiten in der Mittagspause. Für dies alles wir man entlohnt, wenn einen tausende Zuschauer geradezu über die Themse schreien.

Den Halbmarathon bewältige ich in 1h 25min. Mein Gefühl ist immer noch gut. Ich versuche nicht euphorisch zu werden, dass kann sich bei einem Marathon böse auswirken. Der Meilenschnitt hat sich mittlerweile eingependelt, auf diese Zeiten versuche ich mich nun zu konzentrieren. Jede Verpflegungsstation nehme ich wahr. Wasser, literweise von dem kühlen Nass vertilge ich während dieses Rennens, dazu alle paar Meilen ein Sportgetränk. Der als eher mühsam beschriebene Streckenteil auf der Halbinsel Isle of Dogs stellt kein Problem dar. Im Gegenteil, die engen Strassen und die vielen Leute vermitteln einen Eindruck, als wäre man auf den letzten Kilometern der Tour de France Etappe Richtung Alp d'Huez.

Bei Meile 19 sehe ich die grosse Läufermasse auf der anderen Strassenseite. Diese Wettkämpfer müssen jetzt noch sieben Meilen mehr bewältigen. Ich rufe einige aufmunternde Worte zu, und passiere schon bald die 20 Meilen Marke. Immer wieder überhole ich nun Läufer, die bis zur 10 Kilometer Marke noch an mir vorbeirasten. Ein gutes Zeichen für mich, die Einteilung meines Rennens scheint aufzugehen. Leichtfüssig überhole ich einen kleinen ungarischen Läufer. Vor dem Start sah ich, dass er sich die Meilenzeiten für eine Endzeit unter 2h 55min eingeprägt hatte. Dies gibt mir noch mehr Antrieb. Meine bisherigen zehn Marathon Läufe haben mich unter anderem gelehrt, dass es extrem wichtig ist in der Schlussphase positive Gedanken aufzubauen. Dies gelingt mir mühelos, klar die Beine schmerzen, doch das Wort "persönliche Bestzeit" in meinem Kopf beflügelt mich richtiggehend.

Vorbei an Westminster Abbey, über den wunderschönen Birdcage Walk werde ich von den Zuschauern Richtung Ziel "getragen". In diesen Momenten wird mir bewusst, dieser Marathon ist bis anhin der schönste Lauf meines Lebens. Ich könnte der Königin von England beinahe noch Tee servieren, es würde trotzdem für eine Zeit unter 3 Stunden reichen. Jetzt kommen die letzten Meter vorbei am Buckingham Palace Richtung Zielbanner, sogar Kraft für einen Zielsprint finde ich noch irgendwo in meinem Körper.

Ein gespannter Blick auf die Endzeit, 2 Stunden 52 Minuten 11 Sekunden. Absolute neue persönliche Bestleistung, 5 Minuten schneller als mein bisheriger Rekord. Strahlend posiere ich für die zahlreichen Fotografen im Ziel. Da sich der Grossteil der Sportler noch auf der Strecke befinden, möchten so einige ein Foto schiessen. Ich fühle mich beinahe wie ein vielgefragter Weltmeister. Ein Weltmeister würde aber wohl nach dem Rennen nicht direkt das nächstgelegene Pub aufsuchen. Ein feines Ale braucht mein Körper nun mehr, als jede Massage. Ungläubig schauen mich die Pub-Besucher an. Einige Fragen muss ich beantworten, z.b ob ich tatsächlich die gesamten 42,195 Kilometer gelaufen sei, oder wo ich denn diese verdammte Abkürzung gefunden hätte? Einer meint gar, dass mich wohl die Sehnsucht nach einem Bier so schnell ins Ziel getrieben habe.

Nach einer wohltuenden Dusche im Hotel treffe ich auf meinen Kollegen, der ebenfalls gelaufen ist. Obwohl er im zweiten Teil der Strecke schwer gelitten hat, erreichte er ganz klar eine neue persönliche Bestzeit. Beide schwärmen wir von der Atmosphäre dieses Rennens. Wir mussten uns diesen Marathon hart erarbeiten. Zuerst das Glück in der Auslosung, der lange Vorbereitungs-Winter in der Schweiz, und am Schluss noch die Sache mit der Vulkanasche auf Island. Neben dem Flug hatten wir auch die Autofähre und die Zugfahrt durch den Eurotunnel vorsorglich reserviert. Nach diesem Erlebnis muss man festhalten, dass selbst das Schwimmen über den Ärmelkanla für diesen Marathon absolut gerechtfertig gewesen wäre.

Als kleiner Amateursportler erhalte ich am Tag meiner Rückreise in die Schweiz eine weitere Erfolgsmeldung. Ich absolvierte den Marathon in London als Schnellster aller Schweizer Teilnehmer, und mit der viertbesten Zeit aller Läufer aus dem deutschsprachigen Raum.

LonDONE!

Grossen Dank an: Corinne, Sibylle und Erich! Danke für's Cola :-)

3 Kommentare:

Dänu hat gesagt…

Bei allem Respekt und einer allerherzlichsten Gratulation zu dieser sensationellen Leistung muss eins noch erwähnt sein: Gleich zweimal (!) die Marathon-Distanz FALSCH aufzuführen grenzt an einer Todsünde unter Läuferbericht-Autoren :-)
Ansonsten liest sich der Text so, wie es sich in London laufen lässt: Einfach grossartig, einmalig, fantastisch. Danke, Du Ikone!

gossau-fen hat gesagt…

upppsss...tatsächlich um 70 Meter "verschrieben". grad noch korrigiert. ich schreib ja im bericht, dass mich diese meilen völlig verwirrt haben :-)

Odi hat gesagt…

Herzliche Gratulation zu deiner tollen Leistung! Lauf und Bericht: Grande! :-)