Sonntag, Juli 05, 2009

vom Neptun zur Sonne

Silbertal liegt im Voralberg, genauer gesagt in der Nähe von Schruns. Nach dem Ort Silbertal führen die Autostrassen nicht mehr weiter, absolut idylisch gelegen werden Natur Freunde sagen, am Arsch der Welt wohl die Anderen. An diesem Morgen ist der Ort im Montafon allerdings sehr belebt, über 200 Läufer und einige Dutzend "Walker" bereiten sich auf den Montafon-Arlberg Berglauf Marathon vor.

Im Verlauf der Woche wurde ich einige Male gefragt, ob ich am Gigathlon teilnehmen werde? "Das Open Air für Sportskanonen" (St.Galler Tagblatt) war an diesem ersten Juli Wochenende "das Event" schlechthin in der Ostschweiz. Ich verneinte die Frage jeweils, und antwortete ich hätte vielleicht noch etwas "Anderes" vor. In den letzten Tagen klickte ich nämlich dutzende Male die Homepage des Montafon-Arlberg Marathon an, die schönen Fotos von der Strecke machten mich neugierig auf den Lauf. Dazu kamen noch die guten Wetterprognosen für den Samstag. Hunderte Male den Kopf zebrochen, und dann am Freitag Morgen spontan entschieden, dass ich den Marathon unter die Füsse nehmen möchte. Am Samstag Morgen stehe ich also beim Feuerwehrhaus in Silbertal und fülle meine Nachmeldung aus. Nummer 227, letzter gemeldeter Läufer. Neben mir kratzt ein Läufer die letzten Münzen aus seinem Portemonnaie: "Ich denken kostet nur 35 Euro, nicht 45 Euro", meint der gute Mann mit österreichisch-jugoslawischem Akzent zur Frau an der Kasse. Diese zeigt sich aber verständnisvoll und freundlich, überhaupt sollten mir an diesem Tag nur überaus nette Helfer begegnen. Der Anlass läuft sowieso äusserst familiär ab, der OK-Präsident ruft vor dem Marathon die Läufer zusammen und gibt die letzten Infos durch. "Passt's mir oben auf, da ist sumpfig", meint er. Weiter erläutert der umtriebige Chef-Organisator, dass der diesjährige Lauf im Zeichen des internationalen Astronomiejahr 2009 steht. Den ganzen langen Weg bis nach St.Anton werden wir immer wieder auf Abbildungen von einzelnen Planenten treffen.

Pünktlich um Neun geht die Reise für 227 Läufer los, vom Neptun bis zur Sonne oder auch 42,195 Km von Silbertal im Voralberg bis nach St.Anton im Tirol. Als erstes dreht die Läuferschar eine "Einlaufrunde" durch den Startort. Zum letzten Mal bis zum Ziel, kommen wir auch in den Genuss von Anfeuerungen durch ein zahlreich erschienes Publikum. Die beschwerlichen Kilometer über die Berge müssen wir fortan ohne moralische Unterstützung auf uns nehmen. Einige der Marathon Läufer drücken schon beim ersten Kilometer mächtig aufs Gas, man könnte tatsächlich annehmen der Zielbogen von St.Anton befinde sich in unmittelbarer Nähe. Nach diesen ziemlich flachen ersten 4 Kilometer gehts dann erst richtig los. Ein Anstieg von 18 Kilometer Länge durch das hintere Silbertal hinauf aufs Silbertaler Winterjöchle auf 1945 m. Das Hochlaufen ist ein Genuss, die drei Bergläufe die ich diesen Frühling absolvierte, erwiesen sich als perfekte Vorbereitung für diesen Marathon. So kann ich die herrliche Landschaft richtig geniesen, die u.a. auch schon dem berühmtem österreichischen Film "Schlafes Bruder" als Drehort diente. Es bleibt gar genug Luft um mit einem routinierten deutschen Bergläufer, über die Tücken der Strecke und die mangelnde Möglichkeit von "Berg-Training" in seinem Wohnort Aschaffenburg zu diskutieren. Dieses Problem kennt Jörg aus dem Bregenzerwald natürlich nicht. Der 24-jährige läuft auch in unserer Gruppe Richtung Fresche Alp. Er ist wohl das was man eine positive Natur nennt. Optimistisch rennt er den Berg hoch und schwärmt schon vom sumpfigen Gebiet nach dem 18km Anstieg "Uf das freu ich mi brutal" meint er im breiten Voralberger Dialekt. Beim höchsten Punkt des Laufs wartet wieder einer dieser perfekten Verpflegungstände. Cola, weitere Süssgetränke, Wasser, isotonische Getränke, Müsliriegel und Obst. Fast ein Ort zum Verweilen, wären da nicht noch etwa 24 Kilometer zu laufen. Es muss also weiter gehen, immer weiter, immer weiter, wie es ein berühmter deutscher Torhüter vor ein paar Jahren treffend ausdrückte.

Jörg stösst ein Jubelschrei aus, endlich kommt sein Spezialgebiet, wie ein junges Reh hüpft er über die Steine, Bächlein und sumpfiges Grün. Ich lasse ihm dem Vortritt, nicht ohne Hintergedanken. Zwar laufe ich auch sehr gerne auf solchem Terrain, doch es ist sicher nicht schlecht, einen absoluten Spezialisten vor sich zu haben. Bald muss ich allerdings meinen Plan aufgeben. Der Voralberger ist einfach zu schnell auf diesem schwierigen Untergrund. Dafür überhole ich nun den "Flachland-Deutschen" aus Aschaffenburg, der mit vorsichtigen Schritten nichts riskieren möchte. Österreich vor Schweiz und Deutschland, fast wie beim Skifahren. Allerdings wird uns der Deutsche im weiteren Verlauf des Rennens nochmals überholen mit einem bewundernswert konstanten Schritt.

Vier Kilometer lang ist diese Traverse, langsame Läufer brauchten auch schon bis zu einer Stunde für dieses topografisch anspruchsvolle Teilstück. Danach gehts auf Forstwegen hinab durchs schöne Verwalltal. Immer wieder kommen uns Mountain Biker entgegen, die Grüsse und Anfeuerungsrufe freuen mich, zumal ich mittlerweile alleine unterwegs bin. Nun brennt die Sonne schon ziemlich, jede Verpflegungsstation sehne ich fortan herbei. Die Flüssigkeitsaufnahme ist bei solchen Temperaturen bei jedem Posten absolute Pflicht, nicht nur für den Körper auch für das Gehirn. Ohne Konzentration läuft man Gefahr, auch einmal den falschen Weg zu erwischen, trotz Hinweis Pfeilen auf dem Boden. Bis etwa Kilometer 35 geht es sanft hinunter, immer wieder durch einige Gegensteigungen unterbrochen. Diese sind aber eher eine Wohltat, das Hinablaufen kann mit der Zeit ziemlich mühsam werden. Bei Kilometer 36 steigt vor mir ein Läufer aus, er scheint verletzt zu sein. Psychologisch für mich zu einem schlechten Zeitpunkt. Jeder Marathonläufer stellt sich im Verlauf eines Rennens mindestens einmal die "Sinnfrage". Wieso quäle ich mich? Wieso nicht einfach hier stehen bleiben? Wieso nicht in die nächste Beiz gehen? Diese Fragen quälen mich aber nur etwa 2 Kilometer, dann jubliliert mein Körper wieder. Erstens sehe ich vor mir schon die Ortschaft St.Anton und zweitens wartet wieder ein Verpflegungsstand auf mich. Das kühle Nass über meinem Kopf ist Balsam für meinen geschundenen Körper. Jetzt noch den Slalom Hang von St. Anton hoch und dann ist es schon fast geschafft. Ich bin gut drauf, zwei Bauarbeiter stehen mit einem Bier neben der Strecke und rufen mir nach: "Gleich hast's gschafft!" Jörg meinte zu Beginn des Marathons, der letze Anstieg den Slalomhang hoch sei kurz und schmerzlos. Ich ziehe also nochmals das Tempo an, lange kanns ja nicht dauern, denke ich. Die zweitschnellste Frau, eine Schweizerin, überhole ich, gleichzeitig feuere ich sie an "Allez, isch nüme wit". Sie jammert "es god jo nueme no berguf". Die 80 Höhenmeter von denen Jörg gesprochen hat, kommen mir tatsächlich aber auch sehr heftig und lange vor. Nachher im Ziel wird er mir sagen, dass er diesen letzten Anstieg mit Absicht verharmlost hätte. Im letzten Jahr sei er fast eingebrochen, weil ihm ein Mitläufer von den "überaus schweren letzten Höhenmeter" gewarnt hätte. Dank ihm kommt mir die Sache also halb so schlimm vor, und so befinde ich mich schon bald auf den 3 letzten Kilometern runter nach St.Anton. Das letzte Mal war ich 2001 hier, damals fuhr Michael von Grüningen zu seinem Riesenslalom Weltmeister Titel, acht Jahre später ist bedeutend weniger los im Nobel-Skiort. Trotzdem wird mir ein begeisterter Empfang geboten, auch hier nehmen sich die Verantwortlichen alle Mühe. Ich bin erschöpft und glücklich, und muss Schmunzeln, als mich der Speaker im Ziel als "Kraftpaket aus der Schweiz" angekündigt. "Das Krafpaket" (haha) läuft eine Zeit von unter 3Std. 45min und erreicht den 18.Platz.

Mit grosser Zufriedenheit labe ich mich am vielfältigen Obst-Buffet im Zielraum. Danach gehts unter die Dusche und ins Wellness Bad, für das im Startgeld ein Gutschein inbegriffen ist. Das Befinden ist perfekt, fehlt nur noch ein kühles österreichisches Bier. Dies gönne ich mir beim Zielgelände, und applaudiere den eintreffenden Läufern. Mittlerweile gesellt sich der Laufkollege aus dem Bregenzerwald zu mir, er nimmt eine Brise Schnupf und bestellt sich ebenfalls ein Bier. In seiner Laufkategorie erreicht er den dritten Platz, den Pokal holt er allerdings nicht selber ab, er bleibe lieber beim Bier, meint Jörg. Sowas gibts auch nur bei unseren Nachbarn in Austria. Umso verwunderter erfahre ich später, dass der Voralberger Theologie studiert. Kurz darauf verabschieden wir uns, und nehmen uns fest vor nächstes Jahr wieder hier hoch zu rennen.

Mit einem Car werden die Läufer zurück ins Silbertal gebracht. Die Fahrt dauert eine Stunde, genug Zeit zum Überlegen. Heraus kommt folgendes:
1) Spontane Entscheide sind immer die Besten und 2) Österreich entwickelt sich zu meinem Lieblings Laufland.


http://www.montafon-arlberg-marathon.com/de/index.php

3 Kommentare:

Sektion Appenzell hat gesagt…

ich ziehe den hut vor dir. unglaublich.
das war dein erster berg-marathon, oder?

gratuliere du kraftpaket

gossau-fen hat gesagt…

Danke.
ja es war mein erster berg-marathon (und bestimmt nicht mein letzter), hat richtig spass gemacht.

Sektion Meierskappel hat gesagt…

kann mich der sektion appezöll nur anschliessen. respekt!