"Joanna du geile Sau, geboren um Liebe zu geben, du Luder" so, oder ähnlich stimmt sich das wartende Volk vor dem Eingang der Messehalle Friedrichshafen auf das Konzert der "Toten Hosen" ein. Doch nicht nur das deutsche Ballermann-Partyvolk steht sich bei Minustemperaturen die Beine in den Bauch, auch Teile der jugendlichen Punkbewegung friert sich erwartungsfroh dem Konzert, in der Stadt am Bodensee, entgegen. Sie skandieren wütende Parolen gegen eine rechtsextreme deutsche Partei, und bieten so den krassen Gegensatz zum Feierpublikum unter den Zuschauern. Überhaupt sieht man an einem Konzert der Düsseldorfer Alt-Punks, die ganze Bandbreite der Bevölkerung. Vom 6-jährigen Knirps mit Irokesenschnitt, bis zur braven,älteren Mutti mit Stickpullover, samt bierbäuchigem Ehegatten im Schlepptau, ist alles vertreten.
Der Konzerteinlass wird auf der Karte für 19.30 angegeben, fröhlich verdient sich ein Imbissbudenbetreiber neben der Warteschlange sein üppiges Weihnachtsgeld dazu. Der Veranstalter hat allerdings ein Einsehen mit dem frierenden Menschenpulk, und öffnet die Tore schon vorab. Vorallem um die sturzbetrunkenen Teenies in kurzen Hosen und mit "Bis zum bitteren Ende" T-Shirts an, musste man sich draussen vor der Halle schon langsam Sorgen machen. Sie werden sich wohl gedacht haben, was ist schon so eine läppische Lugenentzündung gegen einen geilen Konzertabend in sommerlichen Klamotten?
Die Leute drängen durch die schmalen Eingänge. Neben uns zwängen sich drei sichtlich angeheiterte Mädchen durch. Die eine von ihnen hat eine Gesichtsfarbe wie eine Skipiste. Meine Frau tippt beim Anblick der jungen Frau, auf zuviel Schminke. Als sie sich unmittelbar vor unseren Füssen erbricht, ist endgültig klar, dass wohl nicht nur zuviel Gesichtspuder für ihr weisses Antlitz verantwortlich zeigt. Die gute Dame lässt sich allerdings nur kurzeitig, durch ihr Erbrochenes, aus dem Konzept bringen. Sie wird von ihren beiden Kolleginnen in die Mitte genommen, und so wanken die drei Mädels fröhlich Richtung Hallen-Eingang.
Moderne Zeiten auch bei einer Punkband wie den Toten Hosen. Drinnen werden Gutscheine für USB Sticks angeboten. Für 20 Euro kann sich der geneigte Hosen Fan, unmittelbar nach dem Konzert, den Live Auftritt von Friedrichshafen, immer und immer wieder auf seinem MP 3 Player zu Gemüte führen. Faszinierend…
Noch zwei Stunden bis zum Konzertbeginn, vor der Bühne herrscht schon massives Gedränge. Wir positionieren uns im mittleren Teil, weil wir auch nicht mehr die allerjüngsten sind, und in diesem Teil der Halle, den wogenden, tanzenden und schwitzenden Teeniekörpern entgehen können.
Für Getränke ist, wie immer bei unseren nördlichen Nachbaren, bestens gesorgt. Die Stände florieren, auch härtere Alkoholika wird angeboten. Einigen sieht man jetzt schon an, dass sie die ersten Strophen aus Campinos Mund kaum noch erleben werden. Doch nicht nur die Folgen des übermässige Bierkonsum lassen den einen oder anderen Konzertbesucher etwas unvorteilhaft erscheinen. "Germays Next Topmodel" wird wohl nicht aus dem erlauchten Kreis der "Toten Hosen" Anhänger stammen. Der Sänger der bekanntesten deutschen Band bringt es in dem Lied "Schön sein", ganz treffend auf den Punkt "Die meisten Menschen sind nicht schön. Sie haben eine Scheiss-Figur."
Die Leute befinden sich vielleicht nicht auf "Heidi Klum Schönheits Ideal" Niveau, dafür haben sie einen vortrefflichen Musikgeschmack und feiern können sie auch, dass erlebt man immer wieder an Konzerten der Rheinländer.
Die Vorband rückt an, arme Teufel sind das. Eine Punkband aus Koblenz, sie geben alles, der Schlagzeuger sogar noch ein bisschen mehr, die ganze Zeit rudert er wie wild mit den Armen. Sie fordern das Publikum auch ein paar Mal zum Mitmachen auf, einigermassen vergeblich. Schlussendlich räumen sie irgendwie genervt die Bühne, die Zuschauer wollen nur noch ihre "Toten Hosen" sehen, es ist bald 22.00.
"Schach Matt, Guten Tag, es ist alles in Ordnung" endlich, Campino stürmt in die Halle, und stimmt die erste Single aus dem neuen Album an. Die Zuschauer drücken euphorisch nach Vorne, dass passt unserem Nebenmann gar nicht. Seine Reaktion verrät ihn, der Mitvierziger hat nur die Frisur eines Zwanzigjährigen hat, nicht aber die Gelassenheit. Der Sicherheitsmann vor uns schaut Böse, der Tumult passt ihm gar nicht. Er trägt Springerstiefel, kurzgeschorene Haare und die Stöpsel drückt er fest in seine Gehörgänge. Die Vermutung liegt nahe, dass er sich nicht ganz wohl fühlt an einem Konzert der Toten Hosen, in etwa so wie ein militanter Nichtraucher in einer Smooking Lounge.
Die Düsseldorfer geben auf der Bühne Gas, als wären sie nie weg gewesen. Campino scheinen die Ausflüge ins Theater und zum Film nicht geschadet zu haben. Sein Humor ist ihm auch nicht abhanden gekommen. Friedrichshafen habe das schönste Publikum der bisherigen Tournee, und die Chance sei gross, dass es auch so bleibe, denn dieses Jahr treten sie nicht in Darmstadt auf, meint der 46jährige augenzwinkernd.
Beim Song "Alles aus Liebe" kocht die Halle das erste Mal über. Die Hosen wissen was ihre Fans hören wollen, kein Hit und kein Klassiker fehlt. Trotzdem zwingt mich meine Blase zum schnellen Gang auf die Toilette. Bestialischer Gestank, der nur von zuviel Bier und Currywurst kommen kann, schlägt mir entgegen. Persönlich will man nur möglichst schnell wieder raus hier. Ein ziemlich korpulenter Hosen Fan findets aber scheinbar ganz gemütlich, reisst Witze auf dem übefüllten WC, und fühlt sich hier pudelwohl.
"Steh auf wenn du am Boden bist" die Mutti mit dem Strickpullover, die wir draussen schon sahen, steht einige Meter vor uns. Sie geht richtig mit und entspricht so gar nicht dem Klischee der braven Hausfrau. Mittlerweile turnen Campino und Gittarist Andi oberkörperfrei auf der Bühne herum, man muss sich immer wieder vor Augen führen, dass andere Herrn in ihrem Alter, bereits an die Altersvorsorge denken und höchstens mal ab und zu zum Golfen rausfahren. Das Leben als Punkband scheint ein Jungbrunnen zu sein.
Campino holt Raffael Zweifel auf die Bühne, der Schweizer spielte bereits Cello auf der "Unplugged in Wien" Platte der Toten Hosen. Der Hosen-Sänger meint, seit der höfliche Zürcher mit ihnen im Tourbus mitreise, werde auch wieder "Guten Tag" und "Auf Wiedersehen" gesagt.
Man hofft das dieser Abend noch lange gehen wird, Campino ist ein charmanter Gastgeber, zwischendurch gibt er immer wieder kleine Geschichten zum Besten. Vor dem Song "Bayern" erzählt er, dass es im Kindergarten seines Sohnes in Berlin, 3-5 jährige Giftzwerge gibt, die vom FC Bayern schwärmen. Seine Schlussfolgerung, irgendwas stimmt nicht mit diesem Land. Parallel zum Gesang über den deutschen Rekordmeister, wird auf Leinwänden der historische 7:1 Sieg von Fortuna Düsseldorf gegen den FC Bayern eingespielt. Nach der ersten Strophe unterbricht der Hosen Sänger das Lied, und erzählt gerührt, dass die höchste Auswärtsniederlage der Münchner, vor ein paar Tagen das 20 jährige Jubiläum feierte.
Bei der letzen Zugabe, beim allerletzen Song nach 140 Minuten Konzertdauer, ist dann auch wieder Fussball im Spiel. "You il'never walk alone" die Vereinshymne von Campinos Lieblingsverein dem FC Liverpool wird von den Düsseldorfern angestimmt.
"Tschüss bis zum nächsten Mal, kommt gut nach Hause"
Draussen vor dem Saal sitzen einige Punks im Kreis. Ob sie wohl das ganze Konzert über hier sassen? Die Mutti mit dem Strickpullover, wie auch der Kleine mit dem Irokesenschnitt, sie alle verlassen mit strahlenden Gesichtern die Messehalle. Sogar das Partypublikum singt mittlerweile keine stumpfsinnigen Ballermann Songs mehr, sondern „Oh Madelaine, ich bin keiner, der sein Herz so leicht verliert. Doch ich glaube, wir beide passen gut,das hab ich gleich beim Tanzen gespürt Schalalala Schalalala Schalalalalala Schalalalalalala“
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