Sonntag, August 09, 2009

Glacier 3000 Run

Samstag Morgens um halb fünf ist es in Gossau eher ruhig, von der Terasse des "Hirschen" ertönt von den üblichen Verdächtigen lautes Gelächter, und mit schwerer Zunge werden sich wohl lustige Dinge erzählt. Am Bahnhof liegt ein 18-jähriger schlafend auf der Treppe, die zum Perron führt. "Mann, Weisch dä hani gseh, dä isch binere grosse Chica bös abblitzt! Jetzt häd er wenigschtens ä grossi Stege übercho, hahaha" ein Nachtemensch, der mit seinen Kollegen auf den Zug wartet, scheint den paarungswilligen Schlafenden im Laufe des Abends beobachtet zu haben. Danach bleibt es bis Spiez eher ruhig, selbst am Hauptbahnhof Zürich sind heute früh keine Überbleibsel des Nachtlebens auszumachen. Bereiten sich wohl alle schlafenderweise auf die anstregende Strassenparade mit elektronischer Musik vor. Im Zug Richtung Zweisimmen im Berner Oberland, stellen dann die Läufer des "Glacier 3000 Run" bereits die Überzahl. Es ist ruhig, die meisten schweifen mit kritischem Blick über die verregnete Landschaft. Gegenüber von mir sitzt ein Zürcher Bergläufer, neuste profilierte Laufschuhe, innovative Läuferbekleidung, neue Frisur und mit neuem I-Phone telefonierend. Ich schaue kritisch auf meine Schuhe, haben schon einige Kilometer hinter sich, das Profil naja....ein Auto Pneu würde man wohl dringend Wechseln in dem Zustand.

Gstaad liegt im Sommerschlaf, das grosse Tennisturnier ist auch schon wieder passé, die Tribüne wird gerade abgebaut. Im Ortszentrum flanieren Wohlstandsgewinner den teuren Modeshops entlang. Die fast 500 Läufer die heute ins beschauliche Berner Touristendorf eintrudeln, scheinen da eine willkommene Abwechslung zu sein. Als Wettkampf Teilnehmer hat man aber kaum Zeit um sich die schöne Innenstadt zu Gemüte zu führen, die Witterung bereitet Sorgen. Die Athleten beäugen sich in der Garderobe, was ziehen wohl die anderen Teilnehmer an? Schwierige Entscheidung beim Start sind es bei Regen 15 Grad, im Ziel nur 5 Grad.

Pünktlich um 10.00 erfolgt der Startschuss, fast gleichzeitig wird auch der Regen stärker. Anfänglich düsen einzelne Teilnehmer, deren Äusseres jetzt nicht unbedingt auf Siegesambitionen schliessen lässt, mächtig los. Habe ich etwas verpasst? Gibt es nach 5 Kilometer ein Kilo Gold für die ersten Hundert Läufer, oder geht es etwa in diesem Rennen den Berg runter, anstatt hoch?
Die ersten 15 Kilometer des Glacier 3000 Run sind angenehm, ein schöner Geländelauf. Im Hinterkopf hat man allerdings immer das Höhenprofil dieses Rennen, wer sich die Beschaffenheit der Strecke vor dem Lauf nicht angeschaut hat, wird in der Folge ein böses Erwachen erleben. Nach exakt 15,5 Kilometer erfolgt nämlich jäh ein steiler Anstieg. "Scheisse" denkt man nach den ersten Metern, dass geht ja die nächsten 11 Kilometer so weiter. Nur nicht hoch schauen, ich konzentriere mich auf den Untergrund, oder auf die Füsse meines Vordermanns. Schritt für Schritt, einen Höhenmeter nach dem Anderen, man könnte beinahe in sich gehen und seinen Gedanken nachhängen, wäre es nicht eine solche Tortour. 1'900 Meter Höhendifferenz werden bei diesem Rennen überwunden, und dies fast ausschliesslich auf den letzten 11 Kilometer.

Ich möchte so lange wie möglich joggen, wenn vor mir jemand in den Wanderschritt verfällt, zwinge ich mich dazu weiter in meinem Takt zu laufen. Die Organisation ist optimal, per Lautsprecherdurchsagen werden die Teilnehmer immer wieder angefeuert, und es gibt viele Verpflegungsstationen. Mittlerweile habe ich den 22 Kilometer hinter mir, nun kommt der Wechsel von den Bergwanderwegen auf hochalpines Gelände. Eine Bergziege ist nichts gegen einige von diesen Läufern, denke ich, wenn mich einer überholt. Allerdings joggt hier kaum noch einer, wie ich sind auch die weiteren Läufer in einen schnellen Wanderschritt verfallen. Alles andere wäre irgendwie nicht normal, obwohl ist es nicht schon krank freiwillig bei diesen misslichen Bedinungen auf 3'000 M.ü. Meer. hochzulaufen?

Keine Wunder, wurde Cola ursprünglich als Medizin verwendet, ich nutze die Verpflegungsstände und leere das bräunliche Getränk in mich hinein. Der Zucker tut meinem Körper gut. "Jetz wirds bässer, fasch nur no flach" meint einer der Streckenposten. Natürlich hat ein Berner Oberländer eine etwas andere Vorstellung von Flach, wie ein Ostschweizer. Ein Vorteil ist, dass man das Ziel bei dichtem Nebel gar nicht sehen kann. Sonst würde mir bewusst werden, wie weit 200 Höhenmeter noch sein können. Aufpassen muss ich in der dünnen Bergluft, dass trotz müden Beinen noch jeder Schritt sitzt. Ansonsten würde es ziemlich den Berg runter gehen. Gut stehen überall Bergführer, die einen Blick auf den Zustand der Läufer werfen.

Nein es ist keine Fata Morgana, tatsächlich ich laufe auf Schnee. Endlich der Gletscher ist erreicht, weit kann es nicht mehr sein. "Geil" denke ich, wann würdest du sowas sonst machen, wenn nicht bei einem Berglauf. Alle Anmerkungen von Kollegen, dass jeder Bergläufer doch grundsätzlich in psychiatrische Behandlung gehört, sind eben doch falsch (obwohl ich 4 Kilometer vorher, noch ähnliche Gedanken hatte). Ich höre den Speaker im Ziel, dies motiviert mich noch einmal, und ich überhole noch einen Läufer vor mir. Nur noch einige Treppen bis zur Glacier 3000 Bergstation. Nach 3 Stunden und 8 Minuten bin ich im Ziel. Nun merke ich erst wie kalt es hier oben ist, ich trinke sofort eine warme Boullion. Das Finisher Geschenk sind Handschuhe und Kappe, wie passend.

Leider lädt die Witterung nicht zum Verweilen auf 3'000 M.ü.Meer. ein, statt einem kühlen Weissbier auf der Terrasse, gehts möglichst schnell mit der Seilbahn runter in wärmere Gefilde. Ich schlottere in der Bergbahn, ein junger Davoser Läufer meint "du häsch au nöd kalt?" Daraus entwickelt sich ein amüsantes Gespräch. Er erzählt mir von seiner abenteurlichen Anreise, die ihn nachts um halb eins auf den Campingplatz in Gstaad führte. Die Besitzerin wollte ihn wutenbrannt davon jagen, schlussendlich durfte er aber wenigstens mit dem Auto auf dem Zeltplatz stehen bleiben. Er legte sich mit dem Schlafsack neben seinen PKW, was gut ging, bis irgendwann heftiger Regen einsetzte, und er es sich daraufhin im Waschraum des Campinplatzes gemütlich machte.

In Gstaad ist es deutlich wärmer, als auf dem Glacier. Trotzdem bin ich noch leicht unterkühlt, und laufe mit Kappe und Pullover durch die Gassen der Innenstadt. Dies bringt mir zwar merkwürdige Blicke ein, ist mir aber egal. Ich bin auf der Suche nach einem Lebensmittelladen, ich habe Heisshunger auf Früchte. Laufen ist definitv Gesund.

Im Zug nach Bern setzt sich ein Läufer aus der Hauptstadt neben mich. Er labt sich genüsslich an den Trauben, die ich ihm anbiete. Die Gespräche sind interessant und bringen mir die Erkenntnis, es spinnen vielleicht so einige Bergläufer, aber lange nicht alle.

Schön wars

PS: Danke Erich für den Hinweis, hier für alle anderen Interessierten:
http://sport.sf.tv/sendungen/sportaktuell (Sendung vom 8.8)

Keine Kommentare: