EM Vorrunde
St.Jakob
39'730 Zuschauer (ausverkauft)
Was soll ich meiner Tochter einmal antworten, wenn sie mich in 15 Jahren fragt: "Papi, wie isch da gsi a dere EM 2008, wie isch d'stimmig gsi im Land?
Ich werde ihr wohl erzählen, dass sich viele Schweizer (zu)viel von diesem drittgrössten Sportturnier der Welt erhofft haben. Den Geschäftleuten leuchteten im Vorfeld der EM die Augen. Sie träumten von grossen Gewinnen, mit sonderbaren Fanartikeln und überteuerten Getränken. Die Fussballfans hingegen träumten von glorreichen Siegen der "Nati", hatte doch der alternde Trainer und Nationalheld Köbi Kuhn, sogar von einem möglichen Titelgewinn gesprochen. Doch die Geschäftsleute hatten nicht damit gerechnet, dass der Schweizer an und für sich, ein eher anarchischer Mensch ist, und nicht jeden "Seich" mit sich manchen lässt. So blieben im Vorfeld viele der lieblos gestalteten Fanartikel in den Regalen liegen. Dazu zeigte der Eidgenosse auch, dass er nicht auf Knopfdruck beigesterungsfähig ist, und dass er Sonntags trotzdem um halb elf schlafen geht, auch wenn in der Stadt das grosse Public Viewing des Spiels Deutschland:Polen angekündigt wird. So blieben viele der perfekt organisierten und überkonzipierten Fanzonen leer, und Tickets für das Public Viewing (Unwort des Jahres 2008) blieben bei den Ticketagenturen liegen, wie Bilette für Comback Konzerte der Kelly Family.
Die Schweizer Mannschaft verpasste es ihrerseits die Euphorie zu wecken. Mit bemühten und kämpferischen Leistungen gegen mittelmässige Fussballmannschaften, verlor man bereits die ersten 2 Spiele, und flog so schnell aus dem Turnier, wie noch nie zuvor ein anderer Gastgeber. Schon wieder so einen Rekord, auf den die Schweiz liebend gerne vezichtet hätte (Köln, Ukraine, das Penatyschiessen).¨
Ich werde meiner Tochter aber auch erzählen, dass es trotzdem schöne Erlebnise gab. So war die Stimmung vor dem ersten Spiel gegen Tschechien und auch vor dem entscheidenen Spiel gegen die Türken, sehr speziell. Nervös bestieg man mit Freunden den Zug. Wir lachten viel, und beim Umsteigen in Zürich, stieg die Vorfreude nochmals an. Fast jeder hatte ein rotes Trikot oder T-Shirt an, wir standen in überfüllten Zügen und trafen viele Bekannte. Man hatte fast das Gefühl alle Menschen dieses kleinen Landes machten sich auf den Weg nach Basel. Am Rheinknie angelangt, versuchte man tunlichst dem "EM-Kommerz" irgendwie aus dem Weg zu gehen. Wir tranken selber mitgebrachtes Bier, anstatt des 8 Franken Sponsoren Gebräu. Notfalls wurde es halt kurzzeitg, im Glacefach eines Kiosk gekühlt.
Beim Spiel gegen die Türkei, genoss ich einen herrlichen Spaziergang am Rhein entlang zum Stadion. Ich hatte 3 Stunden vor dem Spiel, genug von der aufgekrazten Stimmung in der Stadt, von Wegweisern wie "Fanzone" oder "Public Viewing". Beim Stadion angelangt, schienen die Verwantwortlichen die Lage besser im Griff zu haben als beim ersten Spiel. Vom Eröffnungsspiel gegen die Tschechen kam einem zu Ohren, dass es angeblich einige "Kurzentschlossene" auch ohne Ticket in den St.Jakob geschafft haben. Solche Aktionen wären beim zweiten Spiel wohl schwieriger gewesen.
Im Stadion liefen Leute mit Kuhglocken herum, und merkwürdig anmutende Animateure versuchten das Publikum für eine gute Stimmung zu begeistern. Doch Gefühle lassen sich nicht manipulieren, auch die UEFA schafft das (noch) nicht. So erreichte die Vorfreude auf das Spiel, beim Einlaufen der Mannschaft ihren ersten Höhepunkt. Die Hymnen wurden ohne das befürchtete Pfeifkonzert abgespielt (bis auf einige Ausnahmen). Danach kam der grosse Regen, und die erste Halbzeit wurde bei ziemlich unregulären Verhältnisen durchgeführt. Hakan Yakin schoss dann das 1:0, und die Schweiz erlebte ihren ersten und einzigen EM Höhepunkt. Wir lagen uns in den Armen. Wildfremde Menschen umklammerten sich, der Schweizer zeigte die zuvor vermisste Beigerstungsfähigkeit. Die Stimmung war grossartig, selbst von den übermotivierten Stadion-Stewards lies sich das niemand versauen, und sogar die Sponsoren Ticket Inhaber auf der Haupttribüne standen von ihren bequemen Sitzen auf.
In der Pause durchlebte wir eine Gefühlswelt zwischen Hoffen und Bangen. Es gab Freunde, die vor lauter Spannung keinen Ton mehr über die Lippen brachten. Andere liefen nervös umher und tranken Cola aus Pappbechern. Diese wurden von der UEFA mit 2 Franken Depot verkauft, aber an solche merkwürdigen Gegebenheiten, inmitten des EM-Hypes, hatte man sich schon fast gewöhnt, und sie konnten einem nur noch ein müdes Lächlen abringen.
Dann kamen 45 Minuten, die alle kollektiven Träume und alle Hoffnungen zunichte machten. Hakan Yakin vergab den Matchball zur Entscheidung und die stolzen Osmanen vom Bosporus schossen 2 Tore, eins davon in der letzen Minute. Ich empfand innerliche Schmerzen, als das 2:1 fiel. Es tat mir weh, wie Freunde von mir mit Tränen kämpfen mussten, oder wie mein Bruder, einer dieser ganz grossen Nati Fans und Daueroptimisten völlig unter Schock stand. Die helvetische Mannschaft tat mir auch Leid, denn jedem Spieler dürfte bewusst geworden sein, dass man mit dem bescheidenen Potential vielleicht einmal gegen Länder wie Togo und Südkorea ein WM Achtelsfinale erreichen kann, aber sicher nie ein EM Viertelfinale oder noch mehr.
Wir standen danach eine gefühlte Ewigkeit beim Bahnhof St.Jakob an, und warteten auf unseren Zug. Die Stimmung war beklemmend, sogar die Türken schienen irgendwie Rücksicht auf die Gefühle der Gastgeber zu nehmen. Sie hielten sich mit Freudentänzen merklich zurück. Die Schweizer Anhänger waren ruhig, kaum einer war wütend auf die Mannschaft, die wenigstens alles versucht hatte. Doch die meisten von denen, die in diesen Minuten überhaupt noch Worte fanden, forderten den Rücktritt des Methusalem Zloczower. Der SFV Präsident und sein Compagnon, der ebenfalls von Senioren Rabatt profitierende Nationalmannschafts Delegierte, Ernst Lämmli müssen sofort den Hut nehmen, dass die einhellige Meinung.
Sie zeigen sich zusammen mit ihrem Jasskollegen Köbi Kuhn veranwortlich dafür, dass sie nicht zum richtigen Zeitpunkt das vollständige Potential der Mannschaft abrufen konnten. Klar kam Pech dazu, doch passierten im organisatorischen Bereich zu viele Fehler in den letzten 2 Jahren. Wieso musste man ausgerechnet wieder auf diesen langweiligen Feusisberg zum Training? Hätten man nicht für dieses einmalige Turnier eine einmalige Ambiance sonstwo schaffen sollen? Wieso wurde eigentlich Team Manager Adrian Knup eingestellt, wenn sich doch immer wieder der ehemalige SVP Kantonsrat Ernst Lämmli in den Vordergrund drängte? Hätte man nicht nach der WM erkennen müssen, dass bei Köbi Kuhn das Feuer erloschen ist? Hätte man nicht auf einen Motivator a la Christan Gross setzen müssen? Fragen über Fragen...
Die Züge am Basler Hauptbahnhof waren total überfüllt, alle wollten einfach nur noch nach Hause. Wir diskutierten noch lange weiter, über das wieso und warum des (sehr) frühzeitigen Scheiterns. Wenn ich also meiner Tochter später einmal erzählen werde, wie dieses grösste Sportturnier, dass jemals in der Schweiz stattfand ablief, werde ich ihr sagen, dass es mir viel Spass bereitete mit Freunden an diese Spiele zu reisen. Jedoch werde ich auch erzählen, dass ich einige Tage später den Pappbecher mit 2 Franken Depot bei mir in der Tasche wiederentdeckt habe. Ich vergass ihn zurückzugeben, und so wie mir, wird es vielen entäuschten Zuschauern ergangen sein. Der grosse Gewinner der EM heisst weder Schweiz, noch Deutschland auch nicht Holland. Nein der grosse Sieger ist die UEFA!
2 Kommentare:
Ganz grosses Lob, einmal mehr sehr gut formuliert.
Sehr gut geschrieben! Es kommt echt Wehmut auf. Wehmut, dass es der "Jassrundi" nicht gelungen ist, beim "Jahrhundertanlass" bereit zu sein.
Hoffen wir die Männer sehen es ein (sofern sie überhaupt noch soweit sehen können...), dass der Fisch am Kopf stinkt! Und zwar grausam. Aber das wird kaum der Fall sein. Schade um die verpasste Chance, aber jetzt haben wir ja wieder 54 Jahre Zeit...
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