Donnerstag, Oktober 06, 2011

Lindau-Bregenz 21,1Km

Der Eurocity Richtung München ist am Sonntag Morgen gut gefüllt. Dies trifft auch auf einige Reisende zu. Oktoberfest Besucher aus der Innerschweiz, bewaffnet mit Filzhut und Dosenbier, machen sich auf die Suche nach weiblichen Geschöpfen. Zwei adrett gekleidete Damen im hübschen Dirndl sind darob wenig begeistert. Die ländlichen Anmachsprüche und Alkoholfahnen morgens um halb Neun sind nicht ihre Sache. Sie nippen erleichtert an ihrem Evian Mineralwasser, als die rotgesichtigen Mit-Dreissiger ihren "Feldzug" im nächsten Wagon weiterführen. Einige Dynamo Dresden Fans stimmen sich derweil auf eine 2.Liga Partie in München ein. Die "Heimweh-Sachsen", wohnhaft im Zürcher Umland, haben für einmal einen nahen Weg zum Spiel ihrer Lieblingsmannschaft.

In Lindau steigt eine grosse Läuferschar aus dem Zug. In einem gekennzeichneten Raucherbereich steht mein Schwager. Er reist mit einigen Kollegen zum grössten Volksfest der Welt. Die Vorfreude sieht man ihm an. Er strahlt.
"Ein-Zwei Mass und ein Hendl darauf hätte ich jetzt auch Lust", überlege ich einen Moment lang. Ich verwerfe diesen Gedanken aber schnell und schliesse mich dem Strom von Läufern Richtung Innenstadt an.

Vor sechs Jahren absolvierte ich von Lindau aus den 3. Länder Marathon. Damals war alles noch eine Nummer kleiner. Mittlerweile ist dieser Anlass die zweigrösste Marathon Veranstaltung in Österreich. 10'000 Läufer und über 50'000 Zuschauer machen diesen Lauf zu einem überregionalen Grossereignis. Der Viertelmarathon ist dabei für viele Laufanfänger das angestrebte Ziel. Power Gel's werden gefuttert, das letzte Mal die Waden von der hübschen Vereinskollegin massiert, oder auch die Schnürsenkel nochmals gebunden. "Mein Gott, bin i nervös", ruft ein fülliger Vorarlberger seinem Laufpartner zu.
Der OK-Präsident ist derweil begeistert vom grossen Teilnehmerfeld. "I hab a Ganserlhaut" ruft er ins Mikrofon. Petrus geht es da wohl ähnlich, pünktlich zum Start scheint die Sonne auf den Bodensee.

Viele hochkarätige Läufer aus Bayern und Österreich haben sich eingefunden. Im Rahmen der Marathonveranstaltungen werden heute verschieden Landesmeisterschaften abgehalten. Im Ziel wird später eine Zeit von 2h 49min gerade mal für Rang 50 reichen. Ausserdem wird der Streckenrekord mit einer Sieger Zeit von 2h11min klar unterboten.
Das Tempo ist dementsprechend von Anfang an hoch. Schnell finde ich meinen Tritt, etwas was mir beim Greifenseelauf vor zwei Wochen verwehrt blieb. Konstant laufe ich einen Schnitt von 3.38min/km. Die Temperaturen sind ideal, die Strecke der Seepromenande entlang wunderschön. Wir durchlaufen nach 10km die bekannte Bregenzer Seebühne. Vorbei geht es am Fussballstadion, wo ich von meiner Familie und den Schwiegereltern angefeuert werde.

Nun kommt der ruhige Teil der Strecke. Der Weg führt die Marathon und Halbmarathon Läufer Richtung Schweiz. Die Halbmarathon Teilnehmer drehen bei Kilometer 15 allerdings wieder Richtung Bregenz ab. Nachdem das Feld getrennt wurde bin ich ziemlich alleine unterwegs. Meine Platzierung ist im Prinzip jetzt schon klar. Das Tempo hat sich mittlerweile bei 3.41min/km eingependelt. In der beinahe absoluten Ruhe dieses Streckenteil lauert aber die Gefahr an Geschwindigkeit zu verlieren. Der Blick geht daher oft auf die Sportuhr um den Kilometerschnitt zu überprüfen. Mein Laufgefühl ist sensationell. Der Kopf möchte noch schneller laufen, die Beine können aber nicht. Vor meinem geistigen Auge tauchen alte Bilder auf. Das letzte Mal als ich hier durchlief litt ich Qualen. Ich bin bin damals die ersten 25 Kilometer viel zu schnell angelaufen, durchschritt später sprichwörtlich die Hölle, um danach erleichtert mit einer Zeit unter 3 Stunden doch noch ins Ziel zu kommen.

Heute ist alles anders. Schon bald erblicke ich das Stadion wieder. Beinahe apprupt tauchen Menschenmassen auf. Leider gibt es hier keine Trennung der Halbmarathon Läufer und der Viertelmarathon Teilnehmer. Natürlich darf man den Kampf um Sekunden nicht zu verbissen sehen. Trotzdem ist es für den schnelleren Läufer mühsam, wenn der Langsamere keinen Platz macht. Erschwerend kommt hinzu, dass viele dieser Sportler mit Kopfhörer laufen. Wenn gerade "Simply the Best" von Tina Turner via Kopfhörer ins Ohr hallt, nimmt man die Aussenwelt wohl kaum mehr wahr.

In 1h17min 39sek erreiche ich im "Slalom" durch die 12 Kilometer Teilnehmer das Ziel im Bregenzer Fussballstadion. Meine zweitbeste Halbmarathon Zeit! Ich bin sehr zufrieden(3.Rang Alterskategorie M30 / 18.Rang Gesamt). Die Vorbereitung auf den Frankfurt Marathon Ende Oktober verläuft nach Plan. Die Zweifel an meiner Form, nach dem durchwachsenen Greifenseelauf, sind wie weggewischt.. Zumal ich im Ziel nicht das Gefühl hatte total ausgelaugt zu sein.

Es herrscht Volksfestatmosphäre bei traumhaften äusseren Bedinungen. Ich genehmige mir ein alkoholfreies Bier und treffe auf meine Familie. Die Gedanken an ein Mass mit Hendl am Münchner Oktoberfest sind weit weg. Dieses Erlebnis macht deutlich mehr Spass, als von verschwitzten Wies'n Touristen auf einer Festbank umklammert zu werden.

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